Ein Schub für den Skilanglauf

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Ein kraftvoller Doppelstockschub bringt mächtig Schwung nach vorne.

Nichts hat den Langlauf in den letzten zehn Jahren so sehr verändert wie die Entwicklung beim ­Doppelstockschub. Selbst schwierigste Streckenprofile bewältigen viele Top-­Athleten in dieser Technik. Experte Uwe Spörl erklärt Kernpositionen und ­Bewegungsabläufe des Doppelstockschubs und seiner verschiedenen Ausprägungen – denn die Bandbreite an ­Varianten ist größer, als viele glauben.

Text: Uwe Spörl


Fotos: Michael Mayer

Heute erleben wir im Skilanglauf in unterschiedlichen Rennserien Leistungen, die bis vor zehn Jahren noch unvorstellbar waren. Der Grund dafür ist die zunehmende Dominanz des Doppelstockschubs. Dass etwa Läufer 220 Kilometer wie beim Nordenskiöldsloppet in Schweden im Doppelstockschub bewältigen, ist für sportliche Freizeit- oder Gelegenheitsläufer wahrscheinlich kaum vorstellbar.

Auch für den Autor ist es in einer klassischen Skilanglaufwelt fast nicht nachvollziehbar, wie man den traditionellen und sehr anspruchsvollen Birkebeiner-Volkslauf in Norwegen mit seinen 54 Kilometern bei circa 1.000 Höhenmetern in der Doppelstocktechnik durchschieben kann. Der erfahrene Skilangläufer mit Herzblut und Leidenschaft steht ein wenig zwischen den „Spuren“: den Hut ziehen vor solch extremen sportlichen Hochleistungen oder den Kopf schütteln angesichts dieses Doppelstockgewürges an steilen, langen Anstiegen? Von Skilanglauf ist in diesen Streckenabschnitten im Grunde nicht viel zu sehen, und von ästhetischer Skilanglauftechnik schon mal gar nichts. Auf der anderen Seite: Auch das Skilanglaufleben ist im Fluss, und man kann neue Entwicklungen zwar kritisch begleiten, sollte sie aber nicht vorschnell ablehnen. Der Doppelstockschub bringt eine Veränderung im Spitzenbereich dieses Sports, wie es sie seit Einführung der Skatingtechniken nicht mehr gegeben hat. Und das pusht alle Bereiche: Leistungs-, Freizeit- und touristischen Skilanglaufsport. Es gibt unserem Sport insgesamt einen Schub.

Maximal gleitender Ski

Der Grund für diese Entwicklung ist einfach: Der Doppelstockschub bringt Tempo. Und im Skilanglauf gewinnt der Schnellste, es zählt die Zeit und nicht die B-Note. Der Ski muss maximal gleiten, und deshalb sind die Gedanken, die hinter dieser Entwicklung stehen, banal und absolut nachvollziehbar. Klassischerweise bewegt sich der Läufer beim Doppelstockschub ohne Beinabstoß mit dem Langlaufski, daher ist keine Abstoßzone unter dem Ski erforderlich. Steigwachs und mechanische Aufstiegshilfen wie Felle, Crown-Schliffe, Schuppen oder aufgeraute Skibeläge werden nicht benötigt. Der Ski ist deshalb maximal gleitfähig und schnell. Beim Athleten bedarf es einer bärenstarken Kondition, vor allem in der Rumpf- und Armmuskulatur, sowie der optimalen Technik.

So einfach der Doppelstockschub in seiner Struktur auch sein mag, die beschriebenen Entwicklungen haben dazu geführt, dass sich sehr viele unterschiedliche Varianten und individuelle Anpassungen herausgebildet haben. Der Doppelstockschub am steilen Anstieg ist in den Rennen der Worldloppet-Serie für Freizeitläufer eine koordinative Herausforderung, die schon nach regelmäßigem Training verlangt. Im Weltcup sind die Anforderungen an Athleten und Material wieder anders: Die Stöcke sind in ihrer Länge reglementiert, auf bestimmten Streckenabschnitten muss Diagonalschritt gelaufen werden, die Loipen sind häufig mit Kunstschnee belegt, das Tempo ist aggressiver, andere Ski sind im Einsatz. An all diese unterschiedlichen Bedingungen und Situationen muss die Lauftechnik angepasst werden. So unterstützen im modernen Skilanglauf die Beine den Doppelstockschub viel intensiver als in vergangenen Tagen – bisher ein Widerspruch in sich (siehe unten).

Vor allem sportlich ambitionierte Freizeitläufer nehmen diese lauftechnische Entwicklung dankend an und erleben ihren zweiten Frühling in der Loipe. Diesen Läufern wollen wir hier ein paar Hinweise und Tipps für den Doppelstockschub geben. Sie richten sich an „gute Skilangläufer“, solche, die nach der Schneesport-Philosophie des Deutschen Skilehrerverbandes (DSLV) als „Könner“ oder sogar als „Experten“ eingestuft werden.

Die Ausführungen konzentrieren sich jeweils auf Kernpositionen, die für Leichtigkeit, Spaß und Erfolg entscheidend sind. Der Fokus liegt auf den beiden Grundfunktionen Gleiten als „Geschwindigkeits- oder Genusskomponente“ und Abstoß als „Antriebskomponente“.

Für das Gleiten wird die richtige Position auf dem Ski gezeigt und erklärt und solche Positionen in Bild und Erklärung gegenübergestellt, die das Skilanglaufen erschweren, aber dennoch auf den Loipen dieser Welt häufig zu sehen sind. Für den Arm- und den Beinabstoß werden einige der wichtigsten Varianten und Ausprägungen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, gezeigt. Der Schwerpunkt liegt darauf, jeweils die Bewegungsabläufe sowie deren Wirkungsweise und koordinative und konditionelle Anforderungen zu erklären.

1. GLEITPOSITION: „Geschwindigkeits- und Genusskomponente“

So sieht’s richtig aus:

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Beidbeingleiten: Gleiten auf beiden Beinen gleichzeitig, das ist die leichteste und erholsamste -Position des Skilanglaufs. Der gesamte Körper ist -genau über den beiden Gleitski ausgerichtet, und der Körperschwerpunkt liegt zentral über beiden Beinen und -Füßen. Die Beingelenke sind gestreckt, die -Hüfte ist in einer hohen Position, und die Fußsohlen sind komplett belastet. Somit ist die Last gleichmäßig verteilt: eine sehr entspannte Position. Der aufrechte und gut stabilisierte Oberkörper entlastet die -Rückenmuskulatur. Beide Arme sind parallel zu Körper, Ski und Loipe in einer Vorhalte, im Ellenbogen leicht gebeugt. Die Stöcke zeigen leicht schräg nach hinten. Die gesamte Position ist die Ruhe vor einem Schub mit maximaler Kraftübertragung, der Läufer ist bereit.

Typische Fehler

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1. Absitzen: Der Läufer steht hier in der Gleitphase mit dem Körpergewicht auf den Fersen. Grund dafür ist die relativ starke Beugung im Kniegelenk und die dadurch eingeleitete Rücklage sowie das Verschieben des Körperschwerpunktes nach hinten. Der Rumpf gleicht durch die leichte Vorbeuge ein wenig aus und verhindert so wenigstens das Umfallen des Läufers. Aber die Position ist sehr anstrengend, weil beide Oberschenkel viel statische -Haltearbeit leisten müssen. Alles wirkt verkrampft und wenig harmonisch beim Gleiten.
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2. Rücklage: Auf den ersten Blick scheinbar keine schlechte Gleitposition. Doch der Läufer lehnt sich mit dem ganzen Körper zu weit nach hinten. Hier fehlt einfach das Gefühl für den richtigen Bewegungsspielraum. Der Läufer ist mehr damit beschäftigt, nicht umzufallen, als seinen Stockschub vorzubereiten. Es ist fast unmöglich, aus dieser Position einen optimalen Krafteinsatz in die richtige -Richtung auszuführen. Alles in allem eine sehr statische und anstrengende Position auf dem Ski.

2. BEINABSTOSS:„Vortriebskomponente“

Doppelstockschub mit Beinabstoß? Ja, gibt es schon sehr lang, aber nicht so intensiv wie durch die Entwicklungen der letzten Jahre. Der Beinabstoß ist hier völlig anders als beim Doppelstockschub mit Zwischenschritt und hält gleich drei sinnvolle Varianten bereit. Neue Modelle von „Doppelstockski“ unterstützen diese Art des Schiebens. Der Ski ist so konstruiert, dass die bei der Doppelstockbewegung frei werdenden Kräfte durch den Beinabstoß für den Vortrieb genutzt werden.

Variation 1

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Doppelstockschub mit Jetbewegung (erste Phase): Während der Gleitposition zieht der Läufer in der Vorbereitung zum Stockschub ein Bein leicht und mit viel Gefühl nach hinten, ohne dabei irgendeinen Kraftimpuls auszulösen. Dabei wird -dennoch die Gleitposition sehr gut stabilisiert. Die Beingelenke sind durch die Aktivität leicht gebeugt, die Ferse zieht nach hinten oben und die Arme sind wie bei jedem Schub in der Vorhalte, -bereit zur Aktion.
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Doppelstockschub mit Jetbewegung (letzte Phase): Mit dem Beginn des Stockschubs wird das hintere Bein nun explosiv nach -vorne geschoben. Der Beinschwung unterstützt den Stockschub enorm, wenn das Timing stimmt. Beide Aktionen müssen gleichzeitig ablaufen, sonst gehen Kraft, Schwung und Geschwindigkeit ins Leere. Wenn die Arme nach hinten auspendeln, ist der Umkehrpunkt des vorderen Fußes auch erreicht. Der -Einsatz des Beins zum Vortrieb ist koordinativ fordernd, aber konditionell nicht so anstrengend und hat doch ordentliche Wirkung.

Variation 2

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Doppelstockschub mit Fersen anheben: Der Läufer hat mit dem Vorschwingen der Arme den Körperschwerpunkt sehr dynamisch nach vorne oben bewegt und sich über den Fußballenstand in eine höhere Position gebracht. Sprung-, Knie- und Hüftgelenk sind komplett gestreckt, die Fersen stark angehoben. Die Ski bleiben dabei am Boden. Vorteil: Der Stockschub wird durch diese aktive, dynamische Beinarbeit optimal im Kraftimpuls und dessen Wirkungsrichtung unterstützt. Der Läufer bringt seine Masse mit höherer Geschwindigkeit und Druck auf die Stöcke. Koordinativ sehr fordernde Art des Doppelstockschubs, denn Timing und Körperspannung müssen stimmen. Nur dann gibt’s die erhofft große Wirkung.

Variation 3

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Angesprungener Doppelstock: Die dynamischste und explosivste Variante. Sie kommt deshalb eher bei kurzen Streckenabschnitten wie beim Zielsprint zur Anwendung. Mit dem Vorschwingen der Arme und dem Aufrichten des Oberkörpers springt der Läufer nach -vorne oben und bereitet dadurch seinen Stockschub vor. Dabei heben auch die Ski hinten vom Boden ab. Mit noch mehr Energie und Geschwindigkeit – im Vergleich zum Doppelstock mit Fersenhub – bringt er maximale Kraft und Druck beim „Runterfallen“ auf die Stöcke. Zusätzlich werden die Unterschenkel schnell nach vorne katapultiert und beschleunigen den Läufer enorm. Die Schwierigkeit: koordinativ höchst anspruchsvoll. Richtung des Sprungs, Timing von Landung und Beginn des Stockeinsatzes sowie die Wirkungsrichtung aller Kraftimpulse müssen optimal zusammenpassen und auf die Schneebedingungen in der Loipe abgestimmt sein. Stürze oder größere Wackler passieren dabei nicht selten auch den Profis. Wenn alles optimal passt, geht’s richtig ab. Die Formel 1 des Doppelstockschiebens!

3. ARMABSTOSS: „Vortriebskomponente“

Variation 1

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Enge Armführung: Hier leitet der Läufer mit dem Stockeinsatz den neuen Schubzyklus ein. Arme und Stöcke stehen deutlich sichtbar -parallel und damit optimal zum Oberkörper. Beide Stockspitzen setzen gerade auf Höhe des Vorderfußes im Schnee ein und -bilden mit dem Stock einen spitzen Winkel zur Unterlage. Die Arme sind sehr nah am Körper, das Last-Kraft-Verhältnis ist dadurch sehr gut. Jetzt kann die Power aus Rumpf- und Armmuskulatur die Stöcke in die perfekte Bewegungsrichtung – schräg nach hinten – schieben und somit den Läufer beschleunigen.
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Breite Armführung: Auch hier leitet der Läufer mit dem Stockeinsatz den neuen Schubzyklus ein. Ebenso stehen Arme und Stöcke deutlich sichtbar parallel und damit optimal zum Oberkörper. Aber die Arme werden wesentlich breiter gehalten und sind somit weiter entfernt vom Körperstamm, Rumpf und Arme sind viel offener nach vorne. Das Last-Kraft-Verhältnis ist hier nicht ganz optimal, der Schubweg deutlich geringer. Das allein bedeutet aber nicht automatisch weniger Beschleunigung und Geschwindigkeit. Über die Schubfrequenz und durch einen möglichen schnelleren Kraftimpuls zu Beginn des Stockschubs kann man das locker in der Loipe aufholen

Variation 2

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Beginn des Stockschubs (Erste Phase): Der Kraftimpuls beginnt mit dem Einsetzen der Stöcke in den Schnee. Die Spitzen setzen beim sportlichen Laufen auf Höhe der Bindung ein, der Stock steht zur Unterlage in einem deutlich spitzen Winkel. Durch das starke Beugen des Oberkörpers wird allein schon Schwungmasse auf die Stöcke gebracht … ab jetzt geht es vorwärts. Der sehr stabile Oberkörper und die um circa 90 Grad gebeugten Ellenbogen übertragen nun die Kraft der Rumpf- und Armmuskulatur maximal auf die Stöcke. Der folgende Stockschub kann aus dieser Position optimal beschleunigen und Geschwindigkeit aufbauen.
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Ende des Stockschubs (Letzte Phase): Der aktive Stockschub endet hier. Der Läufer hat die Stöcke bis hinter die Hüftachse geschoben und dadurch einen langen Beschleunigungsweg für seinen Vortrieb genutzt. Nun pendeln die Stöcke nach hinten bis zum Umkehrpunkt aus. Der Oberkörper ist dabei stark nach vorne gebeugt. Um das Gleichgewicht zu regulieren und nicht nach vorne umzufallen, wird im Laufe der Schubphase der Körperschwerpunkt mit dem richtigen Timing ein Stück nach hinten verlagert. Optimal an dieser Position: Oberkörper und Stöcke bilden eine gerade Linie – ein Zeichen dafür, dass Kraftimpulse und Energie in die richtige Richtung wirken und nicht im Nirvana verloren gehen.

Der Artikel erschien in der Ausgabe 5/18.

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