"Es gibt keinen Grund, auf Langlauf zu verzichten"

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Mit Dr. Tom Kastner, dem Mannschaftsarzt der deutschen Skilangläufer, sprach nordic sports darüber, was Corona für Skilangläufer aus medizinischer Sicht bedeutet.
nordic sports: Haben Sportler ein erhöhtes Risiko, im Falle einer Infektion ernst zu erkranken – oder sogar das Gegenteil? Gibt es diesbezüglich einen Unterschied zwischen austrainierten Profis und Freizeitlangläufern, die eventuell auch nach einer längeren Pause wieder aktiv werden?
Dr. Tom Kastner: Nein, es konnte bisher nicht beobachtet werden, dass SARS-CoV-2-Infektionen bei Leistungsportlern generell zu schwereren Krankheitsverläufen führen. Schwere Krankheitsverläufe sind bei gut trainierten Personen ohne Vorerkrankungen trotzdem möglich, aber selten. Ganz vereinfacht kann man sagen: Sportliche Aktivität stärkt das Immunsystem! Nach einer längeren Pause sollte man zunächst mit niedrigintensiven Belastungen einsteigen und das Training moderat steigern, sowohl in Dauer als auch Intensität. Eine zu starke körperliche Beanspruchung, insbesondere auch auf Dauer, kann sich negativ auf das Immunsystem auswirken.
Geht von dem Faktor Kälte im Wintersport eine erhöhte Gefahr aus, nach einer Corona-Infektion schwerer zu erkranken?
Kalte Umgebungstemperaturen können das Risiko einer Ansteckung durchaus erhöhen. Hinweise dafür gaben die zahlreichen Infektionsfälle in Schlachthöfen diesen Sommer. Als Ursache wurden hier zunächst die beengten Arbeits- und Wohnverhältnisse und damit das Unterschreiten des Mindestabstands der Arbeiter untereinander genannt. Allerdings zeigte sich auch: Das neuartige Coronavirus überlebt länger bei niedrigeren Temperaturen, wie übrigens auch viele andere Erkältungsviren. Für Sportler besteht eine erhöhte Infektionsgefahr, wenn das Immunsystem leicht geschwächt ist, beispielsweise wenn der Athlet nicht die entsprechende Kleidung trägt und während oder nach der Sportausübung friert, oder wenn der empfohlene Mindestabstand zu anderen, möglicherweise infizierten, Personen nicht eingehalten wird. Eine prinzipielle Gefahr schwererer Krankheitsverläufe oder eine besondere Gefahr im Wintersport lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Was sollte jemand, der an Covid-19 erkrankt war, jetzt beachten oder unternehmen, bevor er wieder ins Training einsteigt?
Ein Expertengremium, zusammengesetzt aus den führenden Sportmedizinern Deutschlands, veröffentlichte in diesem Sommer ein Positionspapier, welches sich genau mit dieser Frage, nämlich dem „Return to Sport“ nach einer SARS-CoV2-Infektion, beschäftigt. Abhängig von der Ausprägung der Beschwerdesymptomatik werden Belastungspausen und Diagnostik vor der Wiederaufnahme des Trainings empfohlen. Im Falle einer durchgemachten Erkrankung, egal ob mit oder ohne Krankheitssymptomatik, empfiehlt sich deshalb unbedingt eine Arztkonsultation.

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Es gibt ja recht viele symptomfreie Verläufe. Kann man im fehlenden Wissen, infiziert gewesen zu sein, Fehler beim Sportausüben machen?
Sportlern mit einem positiven SARS-CoV2-Testergebnis ohne Krankheitssymptomatik wird ein Verzicht auf intensive Belastungen, wenn nicht sogar eine komplette Sportpause für zwei Wochen empfohlen. Wer asymptomatisch infiziert ist und nicht zufällig getestet wird, kann jedoch gar nicht entsprechend reagieren. Es fehlt aufgrund der Kürze des Auftretens des Virus beim Menschen schlichtweg an Erfahrung und Studien zu den Langzeitfolgen einer asymptomatischen Infektion. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass im Falle einer asymptomatischen Infektion keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind.
In der praktischen Umsetzung empfiehlt es sich, das Sporttreiben nach dem aktuellen Befinden zu richten. Bemerkt man einen deutlichen Leistungseinbruch oder eine ungewöhnliche Abgeschlagenheit ohne begleitende Infektsymptomatik vor, während oder nach dem Sport, sollte sicherheitshalber eine Ruhepause eingelegt oder zumindest auf intensive Belastungen verzichtet werden. Bei anhaltender unspezifischer Symptomatik ist ärztlicher Rat einzuholen, bevor mit dem Training wieder begonnen wird.
Welche Risikogruppen würden Sie insbesondere raten, vorsichtig zu sein mit dem Wintersport?
Es gibt Risikogruppen, bei denen häufiger schwere SARS-CoV2-Krankheitsverläufe beobachtet wurden. Eine Rolle spielt dabei das Alter, ab etwa 50 Jahren steigt das Risiko. Auch Raucher, stark adipöse Personen und Personen mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder vorbestehenden Lungenschäden haben ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Einer Risikogruppe zugehörige Personen sollten sich unbedingt vor dem Beginn einer sportlichen Aktivität, auch ohne die aktuelle Corona-Situation, internistisch-sportmedizinisch checken und beraten lassen. Eine Kontraindikation für moderate sportliche Betätigung ergibt sich daraus zumeist nicht. Im Gegenteil: Sport, und somit auch der Wintersport, hat auch hier positive Effekte. Entscheidend ist der konsequente Schutz vor einer Infektion.
Würden Sie eine Grippe-Impfung vor dem Winter/Langlaufurlaub empfehlen?
Definitiv ja. Mit der Grippe-Impfung schützt man sich zwar nicht vor dem neuartigen Coronavirus, aber jegliche Infektionsprophylaxe und -Prävention ist wichtig, sowohl für die Person selbst als auch für alle Mitmenschen. Das gilt selbstverständlich nicht nur, aber insbesondere für den anstehenden Winter. Ein durch eine Virusinfektion geschwächter Organismus ist auch anfälliger für andere Krankheitserreger.
Was würden Sie sonst noch Langläufern empfehlen, die sich jetzt auf den Winter freuen, und auch denjenigen, die einen Wettkampf bestreiten wollen?
Zunächst einmal: Sporttreiben und damit auch der Langlaufsport ist der Gesundheit förderlich! Es gibt also keinen Grund, im kommenden Winter darauf zu verzichten. Man sollte unbedingt die allgemeinen Hygienemaßnahmen beachten, also regelmäßiges Händewaschen und -Desinfektion, Tragen des Mund-Nasenschutzes, Nies- und Hustetikette, Abstand zu anderen Personen und anderes. Wie eingangs schon beschrieben, sollte ein Auskühlen während und nach dem Sport vermieden werden. Ein gemeinsames Benutzen von Trinkbehältnissen verbietet sich. Spätestens nach dem Sporttreiben sollte das entstandene Flüssigkeitsdefizit ausgeglichen werden und zeitnah eine kohlenhydrathaltige Mahlzeit zu sich genommen werden. Das verhindert eine Schwächung des Immunsystems.
Wenn ein Wettkampf ansteht, bekommen die genannten Punkte noch einmal mehr Gewicht! Man trifft auf viele andere Personen, und die körperliche Belastung wird deutlich höher sein als bei einer normalen Trainingseinheit. Die Veranstalter werden mit entsprechenden Hygienekonzepten reagieren. Gemeinsam mit einer verstärkten Sorgfalt des Einzelnen, was die allgemeinen Hygienemaßnahmen angeht, lässt sich das Risiko einer Infektion minimieren.
Vielen Dank für das Gespräch!