Mentaltraining: Rituale und Routinen

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Markus Eisenbichlers Brustklopfer: eine leistungsförderliche Routine unmittelbar vor dem Wettkampf?
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Die meisten Athleten spielen vor allem in der Phase vor dem Wettkampf feste, immer gleiche Abläufe durch. ­Welche grundlegenden Formen solcher Abläufe es gibt und welche die Leistung am besten fördern können, ­erklärt Mentalcoach Wolfgang Seidl.

Unmittelbar bevor er in die Anlaufspur steigt, klopft sich DSV-Skispringer Markus Eisenbichler mit seinen Fäusten auf die Brust. Das mache locker und entspanne, hat der viermalige Weltmeister mal erklärt. Solche typischen, speziellen Eigenheiten als Bestandteil ihrer unmittelbaren Wettkampfvorbereitung kennt man von vielen Sportlern. Manchmal wird dabei von Routinen gesprochen, manchmal von Ritualen. Die beiden Begriffe bezeichnen, so wie sie hier verstanden werden, etwas Verschiedenes. Rituale sind häufig an „Aberglauben“ geknüpft und weisen meist starre Verhaltensmuster auf (zum Beispiel das Bekreuzigen vor dem Start oder ein Glücksbringer im Trikot). Ihr symbolischer Charakter kann unter gewissen Umständen entlastend auf Sportler wirken und -Sicherheit -geben. Es gibt sogar Studien, die eine -positive Wirkung von Aberglauben auf die Leistung nachweisen konnten. Der Haken: Wenn das Ritual aufgrund veränderter Umstände im Wettkampf nicht ausgeführt werden kann (Beispiel: Der Glücksbringer wurde im Hotelzimmer vergessen), kann sich das negativ auf die Leistung auswirken.

Routinen haben im Gegensatz zu Ritualen direkten Einfluss auf die Leistung. Wenn ein Langläufer beispielsweise vor dem Wettkampf zuerst seine körperlichen Vorbereitungen (Einlaufen, dynamisches Dehnen etc.) durchführt, danach mittels Atemübungen sein Erregungsniveau bewusst reguliert und vor dem Start seine Aufmerksamkeit nochmals auf seine Stärken legt, dann sollte sich dies im besten Fall positiv auf die Leistung auswirken. -Eisenbichlers Brustklopfer zählen zu dieser Kategorie. Athleten beeinflusst durch solche Routinen bewusst ihre physischen, mentalen und emotionalen Prozesse.

Anders als Rituale beinhalten Routinen zudem flexible Anteile. Sie sollten so verinnerlicht werden, dass sie auch bei wechselnden Bedingungen (Beispiel: Start wird nach hinten verschoben) angepasst werden können. Als Kurzformel kann gelten: Rituale beherrschen (oftmals) den Athleten, Routinen werden (immer) von ihm beherrscht.

Routinen sind individuell

Eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten in verschiedenen Sportarten zeigt die positive Wirkung von Routinen auf die sportliche Leistung. Routinen werden zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt, zum Beispiel zur Vorbereitung auf einen Wettkampf, aber auch zur Bewältigung von Misserfolgen. Im Allgemeinen unterstützen Routinen Sportler dabei, ihre Gedanken zu strukturieren, emotionale Stabilität zu erlangen, ihre Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu fokussieren und sich auf ihre aufgabenrelevanten Informationen zu konzentrieren. Diese trainierten Verhaltensmuster helfen dabei, die Trainings-leistungen auch unter Wettkampfbedingungen abrufen zu können.

Jeder Sportler sollte seine eigene und persönliche Routine erarbeiten, mit der er sich wohlfühlt und die ihm Sicherheit und Vertrauen gibt. Hier gibt es kein Falsch und Richtig, es sollte individuell angepasst sein. Ein Mentalcoach kann Athleten unter anderem darin unterstützen, seine persönliche Routine zu finden.

nordic sports-experte Wolfgang Seidl ist selbstständiger akademischer Mentalcoach und HeartMath®-Coach. Als Leistungssportler war er unter anderem mehrfacher Finisher in Ironman- und Ironman-70.3-Wettkämpfen. Als Mentalcoach betreut er Einzelsportler, stressgeplagte Menschen sowie ­Unternehmen. Unter anderem ist er Mentalcoach der österreichischen Trailrunning-­Nationalmannschaft. www.mana4you.at

Dieser Artikel ist erschienen in nordic sports 2/20.

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